Eddie Redmayne zu Die Entdeckung der Unendlichkeit

Wie wird man Steven Hawking?
Ich wünschte, ich könnte antworten, dass man mir die Rolle angeboten hat und ich abgewägt habe, aber so war es nicht ganz. Ich habe diesen Part eher gejagt (lacht). Das Drehbuch hat mich sofort überzeugt. Als ich das Lesen begonnen habe, habe ich ein Biopic über Steven Hawking erwartet. Ich habe es dann aber schnell als bewegende, enorm komplizierte und tief schürfende Liebesgeschichte erkannt. Es geht um die Beziehung zwischen zwei außergewöhnlichen Menschen. Als ich hörte, dass James Marsh Regie führen würde, habe ich alles versucht, um ihn dingfest zu machen. Ich hatte MAN ON WIRE gesehen und habe James seither für einen außergewöhnlich talentierten Filmemacher gehalten.

Wie verlief das Aufeinandertreffen mit James Marsh?
Er war gerade in Kopenhagen, als wir zum ersten Mal telefonierten. Er reiste dann nach London und hat mich in einen Pub eingeladen. Es war nicht viel später als zwei Uhr Nachmittags und er fragte, was ich trinken will. Ich antwortete zaghaft: „Bier?!?“, schließlich waren wir in einem Pub. Er bestellte für mich also ein Bier. Selber nahm er einen Kaffee. Ich dachte mir: „Oh, verdammt! Das habe ich versaut.“ Er trank seine 6 Kaffee und war ziemlich high vom Koffein. Ich hatte unterdessen 6 Bier und war ziemlich betrunken (lacht). Dieses Szenario war der Sache am Ende hilfreich, denn irgendwo zwischen Kaffee und Bier gestanden wir einander unsere Ängste, unsere Vorstellungen und unsere Aufregung über das Projekt. Am nächsten Tag rief er mich an und ich hatte die Rolle.

Hat sich diese Zusage anders angefühlt, als die anderen?
Für gewöhnlich erlebt man nach jeder Zusage einen Moment oder sogar mehrere Wochen der Aufregung. In diesem Fall hielt meine Aufregung eine einzige Sekunde an, weil mir kurz darauf das ganze Bier vom Vortag hochkam (lacht). Nein, als ich die Rolle bekommen habe, habe ich beides empfunden: Große Begeisterung, aber genauso viel Einschüchterung. Ich wusste, dass Steven und seine Familie den Film sehen würden und das hat die Einsätze für mich in die Höhe getrieben. Sie haben den Film mittlerweile schon gesehen und er hat ihnen gefallen. Das war eine Erleichterung.

Wie haben Steven und seine Familie konkret auf den Film reagiert?
Sie haben wundervoll reagiert. Steven hat uns nach Sichtung des Films zum Beispiel seine Computerstimme angeboten, die eigentlich für ihn lizensiert ist. Wir hatten die Stimme durch einen Synthesizer angenähert, aber dieses Angebot von ihm war eine der überwältigenden Erfahrungen während des Projekts. Genauso wundervoll wie er, haben seine Kinder reagiert. Lucy hat eine rührende Email verfasst. Der letzte Satz war wirklich witzig: Sie hat an ihrem „erwachsenen Ich“ in der letzten Szene des Films kritisiert, dass es deutlich zu wenig Punk-Rock sei (lacht).

Du durftest Steven Hawking kennenlernen. Worüber habt ihr gesprochen?
Ehrlich gesagt hat ein chaotischer Monolog meinerseits unser Treffen eröffnet. Das Sprechen fällt ihm derzeit enorm schwer, denn er steuert seinen Sprachcomputer gerade über einen einzigen Gesichtsmuskel auf die einzelnen Buchstaben. Für einen Satz braucht er daher bis zu 10 Minuten. Stevens Sprache hat daher einen ganz eigenen Rhythmus und in Unterhaltungen mit ihm muss man sich auf viel Stille einstellen. Ich habe mich daran gewöhnt, aber in den ersten 5 Minuten unseres Treffens war ich so nervös, dass ich Steven Hawkingg ohne Punkt und Komma Informationen über Steven Hawking um die Ohren gehauen habe (lacht). Ich habe mich komplett lächerlich gemacht, aber er hat mich beuruhigt. Er war sehr nett.

Habt ihr euch auch über konkrete Dinge aus dem Film unterhalten?
Ja. Wir sprachen zum Beispiel darüber, wie er vor der Sprachmaschiene geredet hat. Ich hatte ein wenig Originalsprachmaterial aus dieser Zeit, auf dem Steven eigentlich nicht mehr zu verstehen war. Die Produzenten des Films wollten nicht untertiteln, was mich in eine Zwickmühle gebracht hat. Als Schauspieler möchte man sich eben nahe an dem Original bewegen, wenn schon etwas Greifbares wie diese Aufnahme vorhanden ist. Steven hat bei unserem Treffen vorgeschlagen, dass wir einen „Übersetzer“ in den Film integrieren. Wir haben diese Idee umgesetzt und einige Szenen umgeschrieben.

Wie jede reale Geschichte wurde auch diese für die Leinwand modifiziert. Wie hat sich Steven zu den Modifikationen geäußert?
Er sagte zum Beispiel, dass der Charakter Brian eine Mischung aus all seinen Kollegen und Freunden sei. Er hat verstanden, dass der Film dem Publikum aus dramaturgischen Gründen nur eine begrenzte Personenzahl vorstellen kann und dass daher einige Personen ungenannt bleiben müssen, obwohl sie für ihn persönlich wichtig waren.

Trotz der Tragik der Geschichte, ist der Film stellenweise sehr humorvoll. Passt das zu deinem Eindruck von Steven?
Ja. Trotz seiner tragischen Geschichte ist er keine Spur von einer tragischen Person. Die Monate nach der Diagnose durchlief er eine depressive Phase, aber zusammen mit Jane hat er diese Phase weit hinter sich gelassen. Ich glaube, er ist nie wieder an diesen dunklen Ort zurückgekehrt. Als er aus dem Koma ohne Stimme erwachte, hatte er vielleicht eine zweite Station der Melancholie, aber er ist vorwärts geschritten und hat sich nicht in diesen melancholischen Episoden verloren. Sein Humor ist überwältigend und wahrscheinlich eines der ersten Dinge, die einem an seiner Person auffallen. Aus meiner Begegnung mit ihm habe auch ich vor allem diesen Aspekt mitgenommen. Ich erinnere mich weniger an die konkreten Punkte, über die wir gesprochen haben, als an den Wahnsinnshumor.

Du hast dich für den Film komplett in Steven verwandelt. War die Rückverwandlung für dich herausfordernd?
Ich war eigentlich immer gut darin, einen Job abzustreifen und in den nächsten zu springen. Dieses Mal war das aber tatsächlich anders. Der Dreh war physisch und psychisch enorm anstrengend. Ich habe deshalb seit dem Film nicht mehr gearbeitet. Diese hingebungsvolle Darstellung lässt bereits Oscar-Spekulationen aufkochen…
Oh Mann… Na ja, meiner Meinung nach ist diese Art der Anerkennung nicht das Allerhöchste. In der einen Sekunde hat man sie vielleicht, aber in der nächsten kann sie schon wieder weg sein. Für mich ging es bei diesem Projekt nicht um diese Art Erfolg. Natürlich freut man sich über Lob, aber das ist nicht der Grund, aus dem man sich in diese Art Projekt wirft. Eigentlich haben wir alle versuch, Lob genauso auszublenden wie Kritik – wenn man sich loben lässt, muss man auch bereit sein sich die Kritik anzuhören und so haben wir das umgangen (lacht).

Was stand für dich bei der Darstellung im Mittelpunkt?
Ich war nur damit beschäftigt, es so authentisch wie möglich darzustellen. Ich habe vier Monate lang jeden Tag in einer Klinik verbracht und manche der Patienten erlaubten mir sogar, sie zu Hause zu besuchen. Dabei entwickeln sich emotionale Verbindungen, die den sensiblen Wunsch entstehen lassen, diesen Menschen mit der eigenen Darstellung gerecht zu werden. Wegen dieses Drucks muss ich zugeben, dass das Projekt auch für mich wirklich hart war.

Du hast in einem Interview gesagt, Angst inspiriere dich. DIE ENTDECKUND DER UNENDLICHKEIT muss dann extrem inspirierend gewesen sein…
Ich hasse Angst (lacht). Antrieb ist sie aber mit Sicherheit. Meine große Angst vor einer wenig authentischen Darstellung hatte mit den Umständen dieses Projekts zu tun. Steven ist eine reale und weltbekannte Persönlichkeit. Jeder würde sich eine Geschichte über sein Leben ansehen – die Bekanntheit der Produktionsfirma würde dazu ebenso einen Teil leisten. Einige der Zuschauer würden die Geschichte eins zu eins so glauben, wie der Film sie auf die Leinwand bringt. Fehler würden also ein öffentliches Bild über eine reale Person entstehen lassen, das ihr nicht gerecht wird. Ich spürte daher gegenüber Stevens Familie und allen Betroffenen, die ich kennengelernt hatte, die Verantwortung der Authentizität. Davon abgesehen fühlte ich mich in Verantwortung der Wissenschaften und ´zusätzlich des Entertainments, denn unser Projekt ist noch immer ein Spielfilm und muss Unterhaltungsansprüchen gerecht werden. Dementsprechend viel Angst hatte ich.

Warst du zu Schulzeiten eigentlich physikalisch bewandert?
Nein, ich war ein physikalischer Nichtsnutz (lacht). Mit 14 habe ich es mit der Physik ganz bleiben lassen, weil es zu nichts geführt hat. Mein damaliger Lehrer Mr. Harris hätte bestimmt nicht vorhergesehen, dass ich je in irgendeiner Art von Verbindung zu Steven Hawking stehen würde. Er würde sich vor Lachen wahrscheinlich auf den Boden schmeißen.

Im Film vermutet Steven als waschechter Wissenschaftler die Antwort auf alle Fragen da draußen im Universum- Philosophen vermuten diese Antwort im eigenen Inneren. Wo findest du Antworten?
Um Gottes Willen, das ist eine gewaltige Frage. Ich habe wirklich keine Ahnung, wo die Antworten zu finden sind, weil ich selbst noch immer lerne. Bei diesem Film zum Beispiel habe ich unglaublich viel gelernt – vor allem über die Wissenschaften und ihr Weltverständnis. Bevor ich diesen Film gemacht habe, wusste ich viele Dinge über Steven und seine Forschung, aber verstanden hatte ich sie nicht. Gelernt habe ich auch durch die Polarität von Jane und Steven. Das war für mich eine der interessantesten Aspekte des Films, denn die beiden haben ein grundverschiedenes Weltverständnis und eine gegensätzliche Annäherung an die Suche nach Antworten.

Und doch harmonieren die beiden derart gut…
Ja. Jane glaubt an Gott und lebt nach christlichen Grundsätzen, um sich am Ende etwas Göttliches verdient zu machen. Steven verneint Gott und glaubt an die Wissenschaften. Er vertritt die Ansicht, dass wir alle nur dieses Leben haben und es daher bis zum äußersten nutzen sollten. Ihre unterschiedlichen Beweggründen treffen sich im selben Resultat – die beiden suchen die Antworten auf verschiedenen Wegen, aber erhalten dieselbe und leben daraufhin so leidenschaftlich, wie sie nur können. Über diesen Aspekt des Films habe ich enorm viel nachgedacht.

Hat der Film für dich persönlich Fragen beantwortet?
Ich würde sagen, der Film ist eine Erforschung der Liebe in all ihren möglichen Formen. Es geht um junge und leidenschaftliche Liebe, aber es geht ebenso um die Liebe zu einer Sache, um familiäre Liebe und genauso um die Grenzen und Verluste von Liebe. Für mich persönlich beantwortet der Film in diesen Bereichen keine Fragen, sondern ermutigt dazu, sich selbst viele Fragen zu diesen Themen zu stellen.

Hat das Todesurteil Stevens Karriere erst entstehen lassen?
Ich weiß natürlich nicht, wie genau sich Stevens Karriere ohne die Krankheit entwickelt hätte und ich kann nicht stellvertretend für ihn sprechen. Ich erinnere mich aber daran, dass er sich als trägen Oxford-Studenten gesehen hat. Durch das 2-Jahres-Todesurteil hat er diese Trägheit verloren. Die Limitierung seiner verbleibenden Lebens- und Arbeitszeit hat ihn bei der Arbeit angestachelt. Er hatte immer einen genialen Verstand, aber er hat ihn vor der Erkrankung nicht in dieser Art und Weise ausgeschöpft.

Wie geht er heute mit der Krankheit um?
Was ich enorm bewundernswert finde, ist seine Fähigkeit aus Dingen immer das Beste herauszuholen. Er findet immer das Positive an einer Situation. Er sagte zum Beispiel zu mir, die fortgeschrittene Einschränkung seiner Kommunikationsfähigkeit käme seiner Karriere nicht einmal Unrecht, denn er müsse dadurch nicht mehr so viel lehren und das gebe ihm mehr Zeit für seine eigene Arbeit. Er hat sogar in seinen Kommunikationsschwierigkeiten also einen Vorteil für sich erkannt: Die dadurch unterstützte Annäherung an persönlichere Ziele.

Ist Stevens Umgang damit vielleicht der Grund dafür, dass aus seinen 2 Jahren verbliebener Lebenszeit 5 Jahrzehnte geworden sind?
Vielleicht, aber ich weiß es nicht und ebenso wenig wissen es die Spezialisten, mit denen ich mich zur Vorbereitung des Films getroffen habe. Viele von ihnen würden alles dafür tun, Steven nochmal unter die Lupe nehmen und ihm eine neue Diagnose stellen zu dürfen. Steven hat aber seit der Diagnose eine enorme Abneigung gegen Ärzte. Wenn man spekulieren möchte, was seine Leben verlängert hat, kann man unendlich verschiedene Antworten finden. Vielleicht liegt es nur am individuellen Verlauf der Krankheit. Vielleicht ist Stevens Leidenschaft zu leben der Grund. Vielleicht sind es auch seine mental herausragenden Fähigkeiten oder es ist sein Erfolg, der ihm höchstkompetente, medizinische Hilfe zu jeder Tages- und Nachtzeit ermöglicht.

Was hat sich in deinem Leben durch das Projekt verändert?
Ich habe mich mit verschiedenen Menschen getroffen, die eine 5-Jahres-Diagnose wegen ALS erhalten haben. Ich durfte diese Menschen beobachten und kennenlernen und habe dabei erst verstanden, welche gewaltigen Hindernisse auf Janes und Stevens Weg lagen. Man setzte ihnen unvorstellbare Grenzen, aber sie haben sich nicht über diese Grenzen definiert. Was uns als Menschen definiert, sind nicht unsere Grenzen: Es ist der Weg ihrer Überwindung. Das ist eine Lektion, die ich durch das Projekt lernen durfte. Davon abgesehen habe ich aus dem Film die Notwendigkeit mitgenommen, jede Sekunde des Lebens so leidenschaftlich wie möglich zu leben.

War es nach diesem Engagement schwer für dich, die Kontrolle bei den Dreharbeiten an James Marsh abzugeben?
James Marsh ist gut im Ermutigen. Er mag Zusammenarbeit in jeder Form. Mein erster Eindruck von dem Projekt war das Gefühl, dass alle Bereiche dieser Geschichte extrem vernetzt sind und zum Beispiel ein falsches Kostüm unglaubliche Auswirkungen auf alle anderen Bereiche haben würde. Wegen Stevens Einschränkung, lebt der Film körperlich von kleinsten Bewegungen. Ein falsches Kostüm könnte hier beispielsweise zur Folge haben, dass diese Minimalbewegungen für den Zuschauer nicht wahrnehmbar sind. Genauso könnte eine falsche Kameraeinstellung zu diesem Ergebnis führen und so weiter. James hat das aber fantastisch gemeistert. Er hat diese Bereiche wunderbar vernetzt, denn er hat allen Beteiligten ihre Stimme zugestanden. Er hält niemanden klein oder übergeht ihn. Trotzdem war es schwer für mich, Kontrolle aufzugeben, weil ich mich monatelang mit der Krankheit beschäftigt und außerdem die Hawkins kennengelernt hatte. James hat sich aber auch meinen Ideen geöffnet, sodass ich kaum mehr das Gefühl von Kontrollverlust hatte.

Eines deiner aktuellen Projekte ist JUPITER ASCENDING. Was kannst du uns darüber verraten?
Dieses Projekt passt zur Kontrollverlust-Frage, denn an einem Projekt wie diesem mitzuarbeiten, erfordert einen Haufen Vertrauen zum Regisseur. Ich habe nicht die beste Vorstellungsgabe und hatte etwas Angst, dass ich mich in der „vorgestellten Welt“ dieses Films vielleicht nicht zu Recht finden würde, da sehr viel über den Green-Screen lief. Es war dann aber doch enorm spaßig und angenehm, denn ich habe mich in diesem Fall voll und ganz der Filmemachervision hingegeben und mich von ihnen durch die feste Welt ihrer Phantasie leiten lassen.

Du hast durch deine letzten Projekte darstellerisch enorme Vielfältigkeit bewiesen. Was planst du für die Zukunft?
Oh, ehrlich gesagt habe ich keine konkreten Rollenwünsche. Ich wünsche mir nur, dass ich weiterhin Filme machen und Geschichten erzählen darf. Ich bin ein riesengroßer Geschichtenerzähler und habe auch durch den Kontakt mit Steven verstanden, wie unersetzlich wertvoll es ist, wenn man tun darf, was man leidenschaftlich gerne tut.

Was ist für dich das Spaßigste an der Schauspielerei?
Wenn mein Job nur aus Rehearsal bestehen würde, dann würde mich das zum glücklichsten Menschen auf der Welt machen (lacht). Ich finde, das ist wahrscheinlich der Spaßigste Aspekt an meiner Arbeit. Beim Rehearsal bist du völlig frei, Dinge auszuprobieren. Ob sie misslingen, ist irrelevant. Du fühlst dich wie ein Kind und darfst einfach drauf los spielen. Ich liebe die Schauspielerei und die Zusammenarbeit mit Kollegen, aber dann auf die Bühne oder vor die Kamera zu treten, ist ein bisschen furchteinflößend.

by Sima Moussavian
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